Die Führung eines Pflegeheims ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die letztlich die Trägerschaften in der Verantwortung stehen. Unternehmensberater Simon Keller skizziert die Herausforderungen und zeigt auf, wie sich die strategischen Gremien aufstellen müssen, um diese zu meistern.
Interview: Elisabeth Seifert
Herr Keller, Trägerschaften von Pflegeinstitutionen haben die strategische Führung der Heime inne. Wo sehen Sie die grossen Herausforderungen für die Heime?
Es gibt vor allem zwei grosse Herausforderungen, die eng miteinander verknüpft sind. Zum einen sind die Pflegeinstitutionen mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, der bereits heute in der Branche stark spürbar ist. Mit dem sich abzeichnenden demografischen Wandel, der zweiten grossen Herausforderung, wird sich die Schwierigkeit, Personal zu finden, noch weiter verstärken …
… es gibt immer mehr ältere Menschen in der Gesellschaft – und diese haben zudem auch andere Bedürfnisse.
Die Generation der Babyboomer hat vielfältige Bedürfnisse und stellt auch wachsende Anforderungen an Pflege und Betreuung. Die Heime müssen sich sehr gut überlegen, wie sie diese vor dem Hintergrund knapper personeller und finanzieller Ressourcen abdecken können. Für die Trägerschaften der Pflegeheime besteht die Herausforderung, abzuschätzen, welcher Bedarf stationär abgedeckt werden soll und wo intermediäre oder auch ambulante Strukturen sinnvoller sind.
Sie sprechen damit die Notwendigkeit an, in integrierten Versorgungsstrukturen zu denken?
Ja, und zwar sind hier alle Akteure gefragt, die Menschen im Alter pflegen und betreuen. Heime, Spitex und Leistungserbringer im Bereich des betreuten Wohnens. Wichtig ist, dass sie den Austausch miteinander pflegen, um innerhalb einer Region eine an den Bedürfnissen orientierte und gleichzeitig ressourcenbewusste Versorgung sicherzustellen. Mir fällt auf, dass neben den Trägerschaften auch vonseiten der Kantone das Bewusstsein dafür wächst, alle Akteure an einen Tisch zu bringen und die Unterstützungsstrukturen für das Alter in gegenseitiger Absprache aufzubauen.
Damit ist gerade auch vonseiten der Heime eine vernetzende und langfristige Planung gefragt.
Wichtig ist, dass die Heime nicht nur das Tagesgeschäft im Blick haben, sondern nach vorne schauen. Sie sind gefordert, eine langfristige Strategie zu entwickeln, die über die nächsten fünf Jahre hinausgeht. Bei einem Bauvorhaben zum Beispiel, ist es nötig, sich darüber Gedanken zu machen,
wohin die Reise in den kommenden Jahrzehnten gehen soll und mit welchen Angeboten man sich im Gefüge einer Region positionieren will.
«Die Heime sind gefordert, eine langfristige Strategie zu
Simon Keller
entwickeln, die über die nächsten fünf Jahre hinausgeht.»
Mit welchen Anliegen treten die Trägerschaften an Sie heran?
Zum einen geht es darum, Marktanalysen zu erstellen und darauf aufbauend gemeinsam mit den Heimen die erforderlichen langfristigen Strategien anzudenken. Wir stellen fest, dass gerade auch die im Mai letzten Jahres veröffentlichte Studie des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums zum künftigen Bedarf in der Langzeitpflege und -betreuung zu einer erhöhten Sensibilität beigetragen hat. Zum anderen geht es um praktische Fragen nahe am Tagesgeschäft. Etwa um Fragen betreffend die angebotenen Dienstleistungen, die betrieblichen Strukturen und Prozesse. Ein grosses Tema ist auch die Digitalisierung.
Wie gut sind die Trägerschaften für ihre anspruchsvollen Aufgaben gerüstet?
Aus unserer Sicht hat sich in den letzten Jahren einiges bewegt. Historisch wurden in vielen Gemeinde-nahen Heimen Gemeinderäte des Amtes wegen in das strategische Gremium gewählt. Vorteil hierbei ist sicherlich die Nähe zur Politik, der Nachteil ist aber oft die fehlende Fachkompetenz. Mittlerweile gibt es immer mehr Trägerschaften, in denen die nötige Fachkompetenz, die Branchennähe und auch Führungskompetenz vorhanden sind. Auf diese Weise zusammengesetzte Trägerschaften arbeiten professionell, indem sie über eine Jahresagenda verfügen und die Themen systematisch bearbeiten. Wir sind gerade damit beschäftigt, im Rahmen einer Studie zu erheben, wie die strategischen Ebenen zusammengesetzt sind und in welchen Gefässen und
mit welcher Frequenz die Sitzungen stattfinden.
Trägerschaften benötigen fachkompetente Mitglieder, wie Sie betonen: Was verstehen Sie genau darunter?
Idealerweise sind innerhalb einer Trägerschaft verschiedene Fachkompetenzen vertreten. Neben dem wichtigen Ressort Finanzen empfehlen wir zum Beispiel, dass auch jemand von der medizinischen Seite dabei ist, aus dem Bereich Pflege oder auch ein Arzt oder eine Ärztin. Das ist noch längst keine Selbstverständlichkeit. Von Vorteil ist auch die Nähe zur regionalen Politik. Daneben empfehlt es sich, dass Personen mit Führungserfahrung Teil des Gremiums sind, ganz besonders im Präsidium. Eine grosse Chance liegt auch darin, dass sich eine Trägerschaft selbst weiterentwickelt. Dies bedingt, dass sie ihre Zusammensetzung reflektiert, die Rollen und Kompetenzen klärt und in einer offenen Diskussion auch die Amtsdauer und die Nachfolgeplanung thematisiert.
Eine Herausforderung ist immer wieder die Zusammenarbeit zwischen den nebenamtlichen Trägerschaften und der hauptamtlichen operativen Leitung. Wo liegen hier die Probleme?
Die Zusammenarbeit ist sehr personenabhängig. Die Herausforderung dabei ist, dass typischerweise zwei Alphatiere, die Präsidentin oder der Präsident sowie die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer, konstruktiv zusammenarbeiten müssen. Von entscheidender Bedeutung ist deshalb, dass beide Seiten ihre unterschiedlichen Rollen genau kennen und zum Nutzen der Institution einsetzen können.
Können Sie das näher ausführen?
Für den Erfolg aus unserer Sicht entscheidend ist die Involvierung. Die strategische Ebene verfügt selten bis nie über genügend Detailkenntnisse, um strategische Entwicklungen allein definieren zu können. Ein erfolgreicher Prozess zur strategischen Ausrichtung besteht aus einem Wechsel von Inputs der strategischen und operativen Ebene, der Entscheid liegt aber dann alleine im strategischen Gremium.
Dies erfordert im Präsidium eine Persönlichkeit mit hoher Führungskompetenz?
Ein wichtiger Punkt ist zunächst das gegenseitige Vertrauen. Und Vertrauen schafft man mit Strukturen, in dem man klar definiert, welche Verantwortlichkeiten bei der operativen Ebene und welche bei der strategischen Ebene liegen. Zudem muss die Kommunikation zwischen den Gremien geregelt sein und sichergestellt werden. Fakt ist, dass der Präsident oder die Präsidentin neben dem eigenen Gremium auch die operative Leitung führt. Das kann nur gelingen, wenn das Präsidium in einem regelmässigen Austausch mit der operativen Leitung ist. Im Präsidium braucht es eine Persönlichkeit, die führungsstark und kommunikativ ist.
Wie sinnvoll ist bei der Suche nach Trägerschaftsmitgliedern eine offizielle Ausschreibung?
Die Führung eines Heims ist gleichzusetzen mit der Führung eines KMUs. Das strategische Organ prägt die Corporate Governance und sollte daher mit gutem Beispiel vorangehen. Dies bedeutet, dass Mitglieder der strategischen Ebene mittels einer Ausschreibung nach defnierten Kriterien ausgewählt werden sollen, wie dies auf der Ebene der Geschäftsleitung der Fall ist. Zudem ermöglicht eine Ausschreibung, unter mehreren Kandidierenden auswählen zu können.
Was halten Sie von Vergütungen?
In der Studie zur Zusammensetzung der Trägerschaften, die ich zuvor erwähnt habe, fragen wir auch nach der Vergütungspolitik. Als Folge davon, dass es in den Trägerschaften immer mehr gewählte Mitglieder mit einem bestimmten Profil gibt, beobachten wir eine gewisse Zunahme der Vergütungen. Ich bin der Meinung, dass für eine professionelle Führung auch eine Vergütung angebracht ist. Diese soll aber den gemeinnützigen Charakter des Amtes widerspiegeln.